letzte Worte

Geliebte, wenn mein Geist geschieden,
So weint mir keine Träne nach;
Denn, wo ich weile, dort ist Frieden,
Dort leuchtet mir ein ewger Tag!

Wo aller Erdengram verschwunden,
Soll euer Bild mir nicht vergehn,
Und Linderung für eure Wunden,
Für euern Schmerz will ich erflehn.

Weht nächtlich seine Seraphsflügel
Der Friede übers Weltenreich,
So denkt nicht mehr an meinen Hügel,
Denn von den Sternen grüß ich Euch!

Annette von Droste-Hülshoff
(1797 - 1848), deutsche Dichterin

Mondnacht

Es war, als hätt‘ der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder,
Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis‘ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande
als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff
(1788 - 1857), deutscher Dichter

Ein Auszug aus: Die Ruine

Die Mauern, die öden, sie ragen weit,
Kein Hall mehr in ihnen von Lust noch Streit;
Die Chronik erzählet wohl manche Mär',
Die Steine verschweigen Nutz und Lehr'
Aus alter Zeit.

Ludwig Anzengruber
(1839 - 1889)

Trost

Tröste Dich, die Stunden eilen,
und was all Dich drücken mag,
auch das Schlimmste kann nicht weilen
und es kommt ein anderer Tag.

In dem ewigen Kommen und Schwinden
wie der Schmerz, liegt auch das Glück.
Und auch heitere Bilder finden
ihren Weg zu Dir zurück.

Harre, hoffe. Nicht vergebens
zählest Du der Stunden Schlag.
Wechsel ist das Los des Lebens
und es kommt ein anderer Tag.

Theodor Fontane
(1819 - 1898), deutscher Dichter

Wie wenn das Leben
wär nichts andres

Wie wenn das Leben wär nichts andres
Als das Verbrennen eines Lichts!
Verloren geht kein einzig Teilchen,
Jedoch wir selber gehn ins Nichts!

Denn was wir Leib und Seele nennen,
So fest in eins gestaltet kaum,
Es löst sich auf in Tausendteilchen
Und wimmelt durch den öden Raum.

Es waltet stets dasselbe Leben,
Natur geht ihren ew'gen Lauf;
In tausend neuerschaffnen Wesen
Stehn diese tausend Teilchen auf.

Das Wesen aber ist verloren,
Das nur durch ihren Bund bestand,
Wenn nicht der Zufall die verstäubten
Aufs neu zu einem Sein verband

.
Theodor Storm (1817 - 1888)

Das Eichhorn

Vor der Eichel kugelrund
öffnet sich ein kleiner Mund
durch des Hungers Appetit
frißt er gleich die Schale mit

so gesehen an dem Ort
hüpft das Eichhorn

… satt hinfort

Kurt Hermann Wilhelm Hübner (*1956)

Gedenk

Es ist kein Vöglein so gemein,
Es spürt geheime Schauer,
Wenn draußen streift der Sonnenschein
Vergoldend seinen Bauer.

Und du hast es vergessen fast
In deines Kerkers Spangen,
O Menschlein, daß du Flügel hast
Und daß du hier gefangen.

Joseph Freiherr von Eichendorff

Die Statue

Ein Engel hat sie aus dem Stein gehauen —
Die Nacht — das Aug entzückend eines Jeden,
Sie lebt, sie schläft nur, willst Du mir nicht trauen,
Geh hin und wecke sie, und sie wird reden.

Günther Walling

Gartenwächter

Versteckt, gut getarnt zwischen Sträuchern und Bäumen
Bewahrt er Haltung und rührt sich nicht
er kommuniziert geräuschlos und träumt
Von heimlichen Treffen bei Milchstraßenlicht

Er schmückt vortrefflich, belebend, gestaltend
Bewacht den Garten, bereichert Natur
Bestrebt, seines Amtes ganz sicher zu walten
So wacht er, nimmermüd, rund um die Uhr...

Der Stier

Der Stier bin ich
Mit Stoß und Stich,
so wehr ich mich!
Hab Feuer im Blick
Kraft im Genick!
Die Adern strotzen,
wer kann mir trotzen?
Ein rotes Tuch
reizt mich genug:
Die Beine stell’ ich,
die Muskeln schwell ich,
den Kopf gesenkt
und losgesprengt!
Im schnellen Lauf
Spieß ich dich auf!
Zu nah’ nicht mir,
das rat ich dir!
Ich bin der Stier!

Hans Rutz